ÜBER DIE DREHARBEITEN

 

Wie soll man den Unterschied zwischen einem »Gschell« und einem »Biss« erkennen?
Und wozu auch?
Die Welt der Rottweiler Narren erschien uns anfangs wie ein verrücktes Paralleluniversum, unmöglich für Faschingsmuffel wie uns, sich dort zurechtzufinden. Und niemals hätte der Algorithmus unserer Computer uns mit dem Hinweis »das könnte dich auch interessieren« »Narren« oder »Rottweil« vorgeschlagen.

Aber dokumentarische Arbeit und der Dokumentarfilm war schon immer ein Glücksfall, um über die eigene enge »Blase« hinaus die Welt zu entdecken, die sie bevölkernden Menschen zu betrachten und vielleicht ein wenig besser zu verstehen.

Dabei hätten wir die Rottweiler Fasnet kennen können, sie ist so berühmt wie der Kölner Karneval oder der Karneval in Rio. Seit über 50 Jahren kommen Fernsehteams, um die Parade der Narren zu filmen. Gschell und Biss – und das sind nur zwei der Narrentypen in Rottweil – springen da »die Stadt hinab«. Aber dieser von den Medien vielbeachtete „Narrensprung« macht nur einen Teil der Fasnet aus, es lohnt einen genaueren Blick auf das Närrische zu werfen.

Die Dreharbeiten waren nicht ungefährlich, am »Narrentag« wurde Frau Baier, in Rottweil wegen des von ihr gehaltenen Mikrophons mit Windschutz nur »Puschel« genannt, von einem Schuttig (einer wild aussehenden Elzacher Teufelsfigur) kurzerhand wie ein Sack Mehl über die Schulter geworfen und weggetragen.

Auch riskant sind die Vielzahl der Weißweinschorle, die dem Filmteam auf dem Weg durch die Fasnet angeboten wurden. Noch ist unklar, ob es sich dabei nur um den Ausdrucks herzlicher und närrischer Gastfreundschaft handelt, oder um heimliche Sabotageakte auf die Bildgestaltung, die dann schwankt.

Fasziniert hört man von der viel beschworenen Glückseligkeit, die den Narren ergreife, sobald er durchs Schwarze Tor springe, eine der vielen Mythen um die Fasnet. Aber das »Narren« ist in Wirklichkeit sehr anstrengend, die Larve drückt im Gesicht und engt das Sichtfeld ein, die Kostüme sind schwer, die Bewegung mühsam, man schwitzt und friert und schubst sich durch einen Haufen anderer mit ebenso eingeengtem Gesichtsfeld.

Die letzten Jahre sind die aktiven Teilnehmer am Narrensprung unmäßig angewachsen. Für die Narrenzunft stellt das ein großes Problem dar und ist mit der Frage verbunden, wann ein Narr ein guter Narr ist. Und wie man die vielen schlechten, unqualifizierten Narren wieder los werden könnte, bevor sie die ganze Fasnacht ruinieren.
Das Narren in Rottweil ist von alters her strengen Regeln unterworfen und hat große Bedeutung für die Gemeinschaft und das soziale Gefüge in der Stadt. Druck und verschärfte Regeln führen nur zu noch mehr »illegalen Narren«. Aber wem sagt man, „Du darfst dabei sein und Du nicht!“?

Unser Thema ist Individuum und Masse. Das Individuum verschwindet unerkannt in der Masse, und möchte doch gesehen werden. Was kann die Kamera sehen, wenn alle hinter Larven versteckt sind?

Nachteil für die Produktion: Die Fasnet findet nur einmal im Jahr statt.
Wenn man sich für die Dreharbeiten die richtige Balance aus Neugier und Wissen
erhalten will, muss man sich die Zeit nehmen, mehrere »Fasneten« mitzuerleben:
Eine Fasnet, um grob zu verstehen worum es geht, eine zweite, um einzutauchen, und eine dritte, um alles nochmals aus der nötigen Distanz zu betrachten.



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